12. - 24. November 2018

27 november 2018 - Unterlangenegg, Zwitserland

Liebe Leute,

ich sitze zuhause am PC, es ist 16.30 Uhr, draussen wird es gleich dunkel und heute morgen begrüsste mich der erste Schnee.... Ich will euch aber noch von meinen letzten 12 Tagen meiner Reise erzählen, das handgeschriebene Tagebuch und die Chilekarte habe ich zur Hand.

12. / 13. November

Meine heutige Etappe führte mich in die Hafenstadt Antofagasta. Aber zuerst hiess es wie an den zwei vorderen Tagen nochmals durch die Wüste entlang etlichen Minen radeln und gegen Mittag den Kampf mit dem Gegenwind aufnehmen. Kurz nach dem Mittag verliess ich die Ruta 5 und konnte von einer Abfahrt an den Pazifik geniessen; bremsen musste ich nicht, der Wind machte seine Arbeit. Es fühlte sich irgendwie wie ein Ende an.... da ich wusste, dass ich nicht genügend Zeit hatte, um bis Santiago zu fahren, hatte ich mich entschieden, von Antofagasta bis La Serena (rund 1000km südlich am Pazifik) den Bus zu nehmen, um von dort aus entlang der Küste via Valparaiso in die Hauptstadt zu fahren. Also fertig Wüste, Sand (der kam zwar dann wieder...), Vulkanberge, grosse Höhen.

Als erstes in der Stadt gönnte ich mir ein superfeines (und dementsprechend "teures") Mittagessen: Fisch und einen grossen Salatteller, inkl. Wein. Danach machte ich einen Spaziergang durch die Innenstadt (ein Ehepaar, dem ich zwei Schoggitaler für einen guten Zweck abgekauft hatte, passte in der Zwischenzeit auf mein Fahrrad auf) und konnte bei einer Fotoausstellung schon etwas für meine Geographielektionen vorbereiten. 

Da der Bus um 2.30 Uhr am Morgen abfahren sollte, entschied ich mich, den Abend am Busbahnhof zu verbringen. Es blieb also genügend Zeit, um einen Fahrradladen aufzusuchen, damit mein "Hinterradproblem" der letzten Wochen und das Ticken im rechten Pedal gelöst werden konnten: Heinsrich Alexander Liebsch machte ganze Arbeit: Er montierte mir einen neuen Schlauch, flickte mir die zwei alten, putzte und schmierte die Kette, kontrollierte die Bremsen, fixierte das Pedal wieder (so dass ich es in Santiago nicht selber lösen konnte....) Ich habe wieder was gelernt und zwar, dass man vor dem Einlegen des neuen Schlauches zuerst kontrolliert, wo das Loch ist. Ich musste nämlich immer nachpumpen, weil sich im gewechselten Schlauch der gleiche Draht "eingenistet" hatte, der meinen ersten Platten verursachte. Aber wenn man bis jetzt keine Pannen gehabt hat..... als es ums Zahlen ging, wollte Heinsrich keinen Pesos! Zusätzlich durfte ich noch bei ihm und seiner Frau duschen (aber das war vielleicht für die andern Busgäste gemeint). 

Das Busticket hatte ich schon einige Tage vorher in Calama gekauft. Ich wusste, dass ich auf den Goodwill der Chauffeure angewiesen war, ob sie mich mit dem Fahrrad mitnehmen würden. Ich checkte am Schalter am Busbahnhof noch einmal alles und man bestätigte mir, dass es (viel) Platz hätte. Sollte also gut kommen! Als ich eine Viertelstunde vor Abfahrt, wie abgemacht, mit Rad und Taschen auf dem Perron erschien, standen mir zwei Männer von der Busgesellschaft "Pullman" gegenüber, die meinen Gemütszustand sehr schnell negativ veränderten: mit einem arroganten Lächeln teilten sie mir mit, dass sie mich nicht mitnehmen wollten. Sie liessen mich auch nicht in den Gepäckraum schauen.... nach einiger Diskussion meinte einer, dass ich mitfahren könne, wenn ich beide Räder abmontiere. Also an die Arbeit, und bevor ich fertig war, zeigten sie auf die Uhr und meinten, es wäre Zeit zur Abfahrt, stiegen ein und.... fuhren mit einem halbleeren Bus davon. Mit einem Cardona-Kaktus-Gruss (wenn ihr versteht, was ich meine....) schickte ich sie im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste. Läck, bi ig verruckt gsi....  ich hätte akzeptiert, eine Absage zu bekommen, wenn der Bus voll gewesen wäre, aber nicht so... ich ging an den Schalter und verlangte das Geld zurück. Der Mann durfte mir nicht in die Augen schauen.... Zwei Stunden später fand ich eine Busgesellschaft (Turbus), die mit meinem Transportmittel kein Problem hatte, die beiden Männer waren sehr behilflich und so erreichte ich am späten Nachmittag die Hafenstadt La Serena. Nach einer kurzen Fahrt entlang am Meer fand ich einen Zeltplatz (mit eigener Toilette und Dusche). Ich realisierte schnell, dass ich in den nächsten paar Tagen noch etwas Geld ausgeben würde, alles war hier ziemlich "teuer".) Nach der letzten schlaflosen Nacht war es kein Problem, heute einzuschlafen!

14. November

Die Fahrt heute führte zuerst 30km (wieder) auf der RN5, d.h. Autobahn! Danach biegte ich auf eine Nebenstrasse ab, die mich in das Fischerdorf Guanaqueros führte. Bei "El Suizo" gönnte ich mir endlich ein Empanada Marisco. Mein Tagesziel war der Küstenort Tongoy. Die Zeit reichte, um auch noch die Halbinsel zu umrunden, bevor ich mein Zelt auf einem Zeltplatz am Strand aufstellte. Bis zu den Knien war ich dann sogar mal unter dem Meeresspiegel....

15. November

Heute eine lange, anstrengende Etappe mit wenig Fotostopps, nur kleinen Esspausen und zurück auf die RN5. Vom Mittag an meldete sich wieder mal der Wind zurück, er kam aus Südwesten, ich fuhr Richtung Südwesten.... vor allem die letzten 8km waren nicht ganz ohne. Bei einem Wegrestaurant in Halcones hatten sie auch Zimmer. Die Dusche funktionierte nicht richtig, dafür konnte ich am TV mitverfolgen, wie in Santiago heftige Demonstrationen stattfanden, weil  in Temuco ein Mapuche-Indianer bei einem Gefecht mit der Polizei erschossen wurde. Ich hoffte natürlich, dass in 8 Tagen alles wieder ruhig sein würde.

16. November

Nach dem heftigen Wind gestern entschied ich mich, heute eine Stunde früher zu starten. Meine Rechnung ging nicht ganz auf: ich war zwar früher weg, aber der Weg begann drei Stunden früher.... d.h. von 9 Uhr blies es mir nur noch um die Ohren...die Richtung war die gleiche wie gestern.... Nebst dem Wind machte auch das ständige Auf und Ab die Fahrt nicht wirklich einfach. Heute war ich froh, alleine unterwegs zu sein, so konnte ich mir die Etappe ganz alleine einteilen. Ich setzte mir Teilziele von 20 - 30km (es hatte ja nicht 100 Dörfer oder Resturants unterwegs) und erreichte nach nicht ganz 7 Stunden "Sattel" und 81km auf dem Tagestacho das kleines Dorf Quillacillo. Eine Hinweistafel beim ersten Haus liess mein Herz höher schlagen: Touristen sollen von den Bänken und Tischen zum Ausruhen Gebrauch machen, ich schaute mir den Garten an und stellte fest. dass es genügend Platz für ein Zelt hat... kurze Frage an Señora Elsa, die Hausbesitzerin...und ich hatte mein Nachtlager gefunden. Mal keine Hunde, sondern Katzen und Hühner! Auf der Suche nach einem Laden (ich brauchte Brot) wurde ich beim dritten Haus des Dorfes fündig. Ich hatte somit alles für meine Fahrt am nächsten Tag und konnte den Abend inmitten von Geranium"bäumen" voll geniessen.

17. November

Heute wusste ich nicht genau, wie weit ich fahren wollte/konnte. Ein Unterschied zu gestern war, dass der Wind schon vom ersten Meter an blies.... es hatte weniger Auf und Ab, dafür hatte es auch weniger Schutz von Sträuchern oder ähnlichem. Um 13 Uhr erreichte ich die Bucht von Chigualoco, wo ein Zeltplatz sein sollte. Den Zeltplatz sah ich, aber keinen Eingang. Etwas zurück in der Bucht entdeckte ich ein paar Häuser, dann mal auf dem Pannenstreifen zurückfahren und nachfragen. Ich bekam zu hören, dass der Camping nur im Januar/Februar offen sei, durfte aber sogleich bei Pedro, Alejandra, Maria José und dem Grosi am Tisch Platz nehmen, und mit ihnen ein ausgebreitetes Mittagessen geniessen! Unglaublich! Das Grosi erzählte mir danach eine gute halbe Stunde eine Geschichte. Wahrscheinlich machte ich einen intelligenten Eindruck, so dass es nicht merkte, dass ich nichts verstand....Um 15 Uhr nahm ich Abschied von der Familie und  machte mich wieder auf den Weg. Der Wind hatte nicht nachgelassen, im Gegenteil. In Los Vilos, einer Stadt am Meer, fand ich eine Unterkunft mit Meeresblick. Fisch, Salat und ein feines Bier in einem Restaurant beim Strand rundeten diesen luftigen Tag ab!

18. November

Beim Morgenessen konnte ich als "Freund und Helfer"der Polizei dienen: zwei Carabineros wussten nicht, wie man den Gasherd bedient. Als Dank wollte einer von ihnen unbedingt mit mir auf das Foto. Die Windfahrt ging heute weiter! Da ich bis ans Ende meiner Reise möglichst oft zelten wollte, und es nicht Zeltplätze wie Sand am Meer hatte, fuhr ich nur bis Los Molles, ein Ferienort am Meer. Auf der einen Seite wurden unzählige Wohnsilos (ich nehme an Ferienwohnungen) aus dem Boden gestampft, auf der andern Seite hatte es viele kleine Restaurants. Da heute Sonntag war, hatte es auch dementsprechend viele Leute am Strand. In mir kamen je länger je mehr Erinnerungen an unsere Familienferien in Spanien hoch. Auch heute fand ich einen Zeltplatz direkt am Meer, keine anderen Leute am Zelten. 

19. November

Heute etwas ganz Neues: kein Wind! Dies steigerte das Feriengefühl noch mehr. Nach gut 31km verliess ich die RN5 endgültig und begab mich an die Goldküste (Diamantküste wäre vielleicht noch passender) von Chile. Zwischen Papudo, Zappalar und La Laguna haben die reichsten der reichsten Chilenen ihre Ferienhäuser mit Sicht aufs Meer oder sogar mit Privatstrand bauen lassen und es wird noch stets gebaut. Jaja, das Geld ist auch in Chile nicht gerecht verteilt. Typisch war, dass ich in Zapallar keinen einzigen Laden fand.... In La Laguna war ich wieder der einzige Gast auf dem Zeltplatz (mitten in Eukalyptusbäumen) und als die Verwalterin am späten Nachmittag wegging, dislozierte ich mein Haus in die Nähe des Schwimmbades. 

20. November

Heute meine letzte Etappe entlang am Meer nach Valparaiso. Die Sonne erschien erst später. Ich merkte deutlich, dass ich mich grösseren (Hafen)Städten (Concon, Viña del Mar und eben Valparaiso) näherte: der Verkehr nahm zu. Nach einem feinen Mittagessen (eines der besten Risotto!) fuhr ich alles direkt der Küste entlang weiter. Auch hier wird gebaut und gebaut und gebaut....Profitieren konnte ich vom Radweg auf dem Strandboulevard, bevor ich mich in den Stadtverkehr von Valparaiso stürzte. Der Weg zur reservierten Unterkunft war dann weniger einfach: Valparaiso liegt zwar in einer grossen Bucht, wird aber abgeschirmt von einer Hügelkette. Die Häuser kleben richtig an dieser Kette und viele Häuser sind nur durch Treppen erreichbar. Hätte beim Buchen vielleicht etwas besser schauen sollen, wo das Hostal "La Casa Azul" (=das blaue Haus) liegt. Nachdem ich zuerst mithilfe eines Chilenen mein Gefährt eine steile Strasse hinauf geschoben hatte, stand ich vor einer Treppe! Ein anderer Chilene bot seine Hilfe an, half mir mit Taschen tragen und wollte am Schluss noch eine Almose...Ich hatte zwei Nächte gebucht, bevor es dann nach Santiago ging.

21. November

Nach dem Morgenessen machte ich mich auf den Weg zum Fotografieren. Ich wollte wieder etwas für den Geounterricht vorbereiten. In Valparaiso wurden Ende 19. und Anfang 20. Jahrhundert Lifte (Ascensores) gebaut, damit die Leute nicht soviele Treppen laufen müssen... In der Zwischenzeit sind die meisten nicht mehr in Betrieb, einige wurden restauriert und funktionieren noch immer. 

Wie müde mich so eine Stadt macht, merkte ich am Nachmittag, als ich zurück kam. Dennoch habe ich einen Eindruck bekommen, wie "Valparaiso" lebt.

22. November

Um vom Hostal aus auf die Hauptstrasse zu gelangen, durfte ich ausnahmsweise einen Ascensor benutzen. Bei der "Talstation"musste jedoch die ganze Eingangspforte verschoben werden, damit ich mit meinem Rad hindurch kam. Ich hatte zwei Tage geplant, um nach Santiago zu fahren. Ich wollte nicht die Hauptroute mit zwei Tunnels fahren, sondern wählte wie am Anfang der Tour einen Weg über einen Pass (1300m.ü.M.) und wollte zum Abschluss unbedingt nochmal zelten. Da kein Zeltplatz auf der Route eingezeichnet war, wusste ich, dass es eine "wilde" Angelegenheit werden würde... am liebsten irgendwo vor der Passhöhe. Es war ein sehr heisser Tag und ich machte noch einmal in Bezug auf Verkehr, Strassen, Gelände, Wind, Dörfer alles mit! 

Oberhalb der Grundschule in La Dormida (der Name schien mir passend zum Übernachten) fand ich einen Spielplatz. Beim "Gemeindehaus" war der Altersnachmittag gerade zu Ende und ich informierte mich, ob ich hier zelten dürfe. Die Leute waren einverstanden, meinten aber, dass ich noch Marcelino (ein grosses verschlossenes Tor am Ende des Spielplatzes führte zu seinem Grundstück) fragen solle. Nach mehrmaligem Läuten erschien ein ziemlich grimmiger Mann. Ich begriff wieder mal nur einen Bruchteil, von dem was er sagte...konnte aber behalten, dass ich den Abfall in den Karton beim Tor werfen muss und dass ich um 7 Uhr am Morgen weg sein soll. Danach verschwand er wieder. Ich entschied mich, das Zelt erst bei Einbruch der Dunkelheit aufzustellen und ass zuerst etwas. Nach etwa 10 Minuten ging das Tor wieder auf, er stellte zwei grosse Wassertanks hin und verschwand wortlos wieder....(ich hatte meine Wasserflaschen zwar voll, aber doch eine nette Geste). Wieder 10 Minuten später erschien er und erklärte mir, dass es viel zu gefährlich für mich sei, ausserhalb des Tores zu übernachten. Am Abend kämen oft Leute zum Rauchen und Trinken hier her... ich solle das Zelt direkt beim Tor auf seinem Grundstück aufstellen (überhaupt wurde ich in den letzten Tagen mehrmals gewarnt vor "schlechten" Menschen). Ich überlegte, ob ich dieses Angebot annehmen soll, oder doch noch ein Stück weiterfahren soll... okay, ich ging mit. Ich begriff dann auch endlich, dass er von mir keine Zigarette wollte, sondern dass er mir deutlich machen wollte, dass ich wegen der Trockenheit kein Feuer machen dürfe.... kaum hatte ich das Zelt aufgestellt, kam er wieder zurück und überreichte mir 2 Avocados aus dem eigenen Garten und verschwand wieder. Nach weiteren ca 10 Minuten erscheint er wieder mit 3 Orangen aus dem eigenen Garten und verschwand wieder..... und kam nicht mehr bis am nächsten Morgen um 6.10 Uhr und schloss das Tor auf, so dass ich um 7 Uhr weg konnte.

23. November

Mein letzter Tag! Zum Glück startete ich (gezwungenermassen) früh, denn es wurde wieder heiss. Für die 9km zur Passhöhe brauchte ich etwas mehr als 2 Stunden und der erste Gang wurde wieder mal gebraucht. Bevor ich die Abfahrt nach Tiltil in Angriff nahm, gönnte ich mir bei einem Wegrestaurant (alter Bus) einen Kaffee und ein Sandwich mit Ziegenkäse und Tomaten (die zweite Hälfte war dann mein Mittagessen, so gross war es). Dass es hier vielleicht doch etwas "unsicher" war, zeigte sich darin, dass die Polizei die Besitzer des Wegrestaurants ausfragten über einen Schusswechsel am Tag zuvor....Auf dem Weg nach Lampa kam ich zum ersten Mal in den Genuss vom Windschattenfahren: ein Amateurrennfahrer aus Santiago bereitete sich auf ein Rennen am Sonntag vor und diente mir für einige Kilometer als Lokomotive.

Der Rest ist schnell erzählt: ohne Karte erreichte ich am Nachmittag das Hostel, genehmigte mir ein feines Bier und bereitete mich auf meine Heimreise vor: Fahrrad einpacken, Taschen aussortieren und neu packen, eine letzte Stadttour am nächsten Tag (Costanera und San Christobal) und ein letztes feines Abendessen.

Ja, und so ist diese Reise auch schon wieder vorbei. Es war eine ganz besondere Reise mit neuen Erfahrungen und meine Erwartungen wurden bei weitem übertroffen! Interessant und zufälligerweise ist, dass diese Reise genau gleich lang war wie die Reise vor drei Jahren von Santiago nach Ushuaia: 3883 km.

Wo geht die nächste Reise hin? (Noch) keine Ahnung!

Foto’s

1 Reactie

  1. Marion:
    27 november 2018
    Lieve Karin, welkom thuis. Genoten van je verhalen en foto’s, we hebben een beetje met je mee gefietst en een heel bijzondere reis gehad.
    Heel veel liefs! Marion